Nachdem die BMW Group mit einem cleveren Coup am 28. Juli 1998 die
Markenrechte erworben hatte, startete das „Project Rolls-Royce“ mit
enormem Aufwand. Jahrelang pendelten zahlreiche mit dem Projekt befasste
Mitarbeiter permanent zwischen BMW in München und dem Süden Englands hin
und her. Denn dort entstand in der Nähe von Goodwood der neue
Produktionsstandort „auf der grünen Wiese“. Der 3. Januar 2003 markierte
das Ende dieser Startphase, denn als Ergebnis vierjähriger Entwicklung
wurde der Rolls-Royce Phantom präsentiert.
Bezüglich Namenswahl war man kein Risiko eingegangen - denn seit dem
"New Phantom" (später Phantom I) aus
1925 gab es diese Modellbezeichnung im Hause Rolls-Royce. In gleicher
Weise war die Namenswahl treffend, weil der Debütant wegen seiner
Abmessungen gewiß Anschluss an die "großen" Rolls-Royce
Phantom der Vergangenheit hielt. SeinRadstand von 3.570 mm unterschied sich nur
marginal von den 3.683 mm des Anfang der 90er Jahre ausgelaufenen
Rolls-Royce Phantom VI. Auch Höhe und Breite
lagen mit 1.632mm bzw. 1.990 mm etwa auf dem Level des prominenten
Vorgängers (1750 mm bzw. 2006 mm).

Rolls-Royce Phantom, 2003, #SCA1S68004UH0003
Bezüglich Fertigungstechnologie und technischen Komponenten lagen aber
Welten zwischen dem modern konzipierten Neuling und seinen – ob ihrer
konservativen Auslegung nicht völlig zu Unrecht – als „Dinosaurier“
bezeichneten Namensvettern aus früherer Zeit. Die viertürige Karosserie
war ausgeführt als Aluminium Space-Frame-Struktur, war folglich leichter
und stabiler als ein Stahlrahmen vergleichbarer Größe. Die hinteren Türen
waren hinten angeschlagen. Das kombinierte erleichterten Ein- und Ausstieg
mit dem Vorteil, dass Persönlichkeiten besser fotografiert werden konnten,
weil keine störenden Türrahmen mehr ins Bild ragen konnten. Angesichts der
Käuferschicht, die ins Auge gefasst war, waren in die Überlegungen zur
Karosserie sogar Gesichtspunkte zu „mediengerechter Gestaltung“
eingeflossen.
Als Antriebsaggregat fand ein neu entwickelter 12 Zylindermotor mit
6.740 ccm Verwendung. Mit vier Ventilen pro Zylinder bestückt, brachte es
das Leichtmetall-Triebwerk auf 450 PS. Allerdings musste dazu – weil auf
die Aufladung mittels Turbolader bewusst verzichtet worden war - bis in
Bereiche von deutlich mehr 5.000 U/min hochgedreht werden. Ein solches,
bis dato bei Rolls-Royce nicht akzeptiertes Drehzahlniveau mag auch den
Anstoß gegeben haben für ein 2-Phasen-Auspuffsystem, in dem bei niedrigen
Drehzahlen ein Ventil schloss, um den Gegendruck zu erhöhen und den
Auspuff auf Flüster-Lautstärke zu mäßigen. Ein Sechsgang-Automatikgetriebe
übertrug die Kraft auf die Hinterräder. Die Einzelradaufhängung rundum
zeigte Luftfederung; integriert war ein System zur Niveauregulierung.
Es stellte sich die Frage, ob ein massiger Zweieinhalbtonner von fast
sechs Metern Länge widerspruchslos als „perfect owner driver“
katalogisiert werden konnte? Die Entwickler hatten auf jeden Fall ganze
Arbeit geleistet, um langjährige Rolls-Royce Eigner sofort nach dem
Einstieg „in vertrauter Umgebung“ zu empfangen. Die Materialwahl -
feinstes Leder für Sitze und Verkleidungen, beste Wolle für die Teppiche
und Edelholz fürs Armaturenbrett – bestätigte die Übernahme alter Werte.
Hinsichtlich Austrittsöffnungen der Klimaanlage und Bedienungshebeln
(„Violinschlüssel“, verchromt) hatte man exakt kopiert, was früher
Zuspruch gefunden hatte. Geordert werden konnte der Rolls-Royce Phantom
als 5-Sitzer. Diese „Lounge-Version“ verfügte über eine für die Nutzung
durch drei Fahrgäste ausgelegte Rückbank. Optional gab es die Version
„Theatre“, deren Sitzkonzept hinten zwei Einzelsitze, getrennt durch eine
Mittelkonsole, vorsah.
In 1904 hatten Frederick Henry Royce (ab1930 Sir F. Henry Royce,
Baronet) und Charles Stewart Rolls, Sohn von Lord Llangattock, die Marke
Rolls-Royce gegründet. Im 99. Jahr der Firmengeschichte zeigte der
Rolls-Royce Phantom, wie die BMW Group die Weichen für die Zukunft stellen
wollte. Zur Feier des 100-jährigen Jubiläums wurde in 2004 eine auf 35
Exemplare limitierte Serie von Rolls-Royce Phantom „Centenary“ gebaut. Zu
deren besonderen Merkmalen zählte eine aus Massiv-Silver angefertigte
Kühlerfigur, die in einer Schatulle verwahrt dem Eigner die Wahl ließ, sie
als Ersatz für die Standard-Version aus Chrom-Nickel-Legierung auf den
Kühler zu setzen.


Die endgültige Ausführung unterschied sich nur in Nuancen von dem
"Erlkönig", der früh im Jahr 2002 bei Tests in Frankreich
Pascal Pierart vor die Linse gekommen war. Offenbar bewegt mit einer
Geschwindigkeit weit jenseits des in unserem Nachbarland auf
Autobahnen geltenden Tempolimits.
(Foto: Pascal
Piérart, Frankreich)